Judith Holzbauer unterrichtet seit 23 Jahren an der Montessori-Schule. Sie kennt das, wenn einmal im Jahr beim „Tag der offenen Schule“ viele neugierige Kinder und Eltern durch die Flure und Zimmer streifen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie Unterricht auch ablaufen kann – außerhalb der Regelschule. In diesem Jahr kam niemand, weil wegen der Corona-Beschränkungen niemand kommen durfte. Und so erlebte Judith Holzbauer eine Premiere: Sie wurde erstmals live bei der Arbeit gefilmt.
45 Minuten dauerte der Einblick in das tägliche Lernen der Klasse „Blau“, in der Schüler aus der ersten bis zur vierten Jahrgangsstufe betreut werden. Interessierte Familien hatten sich zuvor als Teilnehmer eines Video-Chats angemeldet. Insgesamt wurden vier Chats angeboten, jeder mit einer anderen Klasse.
Normalerweise kümmern sich Holzbauer und ihre Kollegin Barbara Harig, sie ist Schulbegleitung, gemeinsam mit einer pädagogischen Fachkraft um gut 20 Kinder. Für den Livestream scharten sie sieben der „Blauen“ um sich, um mit ihnen im kleineren Kreis bestmöglich die speziellen Lernmaterialien und Lernmethoden zur Geltung zu bringen.
So übte Mia am mehrfarbigen „Schachbrett“, einem klassischen Montessori-Material, mit der die Grundrechenarten vermittelt werden. Max formierte Satzglieder zu einem „Satzstern“, Finja übte mit „Pumuckl-Streifen“ das Bestimmen der Wortarten. „Handelndes Lernen“ nennt Holzbauer diese Form des Unterrichts.
Auf den ersten Blick sehen die Materialien, vor denen die Kinder am Boden knien, wie spannende Brettspiele aus. Das macht sie auch so attraktiv. Montessori-Schüler suchen sich ihre Aufgaben grundsätzlich selbst. Die Lehrer beobachten und unterstützen, wenn es nötig ist. Holzbauer: „Jedes Kind bekommt die Zeit, die es braucht.“
Im Anschluss an den Demo-Unterricht konnten die Zuschauer Fragen stellen. Für viele Familien ist der „Tag der offenen Schule“ alle Jahre wieder wichtig, um eine Entscheidung zu treffen, ob sie ihr Kind künftig an einer staatlichen Lehranstalt oder eben an der Montessori-Schule aufs Berufsleben vorbereiten lassen wollen.
Eine Mutter wollte wissen, ob diese Schulform wirklich für alle Kinder geeignet sei – die Frage aller Fragen. Judith Holzbauer räumte ein, dass der pädagogische Ansatz von Maria Montessori erfahrungsgemäß besonders gut bei Schülern fruchte, die sich selbst strukturieren können. Andererseits führe die Geduld, mit der an der „Monte“ vorgegangen werde, oft dazu, dass Kinder mit entsprechenden Defiziten dann eben doch irgendwann in der Lage sind, zuverlässig eigenständig und konzentriert zu arbeiten.
Wissensvermittlung mit Lernmaterialien, erläuterte die stellvertretende Schulleiterin, findet in der Hauptsache in der Schule statt. Es mache also keinen Sinn, sich „Pumuckl-Streifen“, „Lesedose“ oder „Markenspiel“ privat anzuschaffen. Daheim, so Holzbauer, sollten die Kinder in anderer Weise praktisch lernen, zum Beispiel indem sie mit den Eltern basteln, kochen oder backen. Auch dabei sollte die Erziehung zur Selbstständigkeit im Vordergrund stehen. „Wenn die Mama daheim alles hinterherträgt, dann erwarten die Kinder, dass wir das in der Schule auch tun“, so Holzbauer.
Dass es in einer Monte-Klasse mitunter lebendig zugehe, weil die Kinder herumlaufen, Arbeitsgruppen bilden, sich immer wieder auf dem obligatorischen „Teppich“ in Sitzkreisen zusammenfinden, ist für Holzbauer zwar „manchmal herausfordernd“, gleichwohl ein Wesensmerkmal dieser Schulform, das sie nicht missen möchte. Völlig losgelöst von allem seien Monte-Schüler freilich nicht unterwegs. „Wir sind schon auch streng, wenn es darum geht, Grenzen einzuhalten.“
Den kleinen Bruder eines Monte-Kandidaten interessierte vor allem, ob zu den Lernmaterialien auch eine Ritterburg gehöre. Das nun gerade nicht, antwortete Holzbauer schmunzelnd, aber wenn sich ein Kind für Ritter interessiere, könne es natürlich im Unterricht sogar auf diesem Spezialgebiet forschen.
Forscherdrang war diesmal auch bei der Vorbereitung der alljährlichen Info-Veranstaltung gefragt gewesen. Und das nicht zu knapp, alles musste neu gedacht werden. „Die Hoffnung, die Veranstaltung wenigstens mit teilweiser Präsenz durchziehen zu können, war zunächst groß“, sagt Schulleiterin Rebekka Oberhofer, „aber dann ging aufgrund der Beschränkungen gar nichts mehr“. Den „Tag der offenen Schule“ ganz ausfallen zu lassen, sei aber nicht infrage gekommen.
Binnen kürzester Zeit und mit viel freiwilligem Engagement stemmte die Monte-Familie ein Konzept für einen rein digitalen Ablauf. Die erste Idee, „nur“ fertige Videos als Anschauungsmaterial ins Netz zu stellen, wurde wieder verworfen. Frau Oberhofer und ihre Mitstreiter/innen wollten unbedingt gewährleisten, dass Eltern nicht nur zuschauen, sondern auch Fragen stellen können. So kam es zu dem Livestream. Und auch wenn technisch nicht alles hundertprozentig klappte, zeigte sich Frau Oberhofer hinterher froh über den Verlauf des Experiments. „Ich glaube, die interessierten Eltern waren sehr dankbar.“
Ein Eindruck, den Nicole Sloan gern bestätigte. Sie ist Mutter von Jesse, eines Inklusionskindes. „Alles in allem fand ich es sehr herzlich, freundlich, und man hat sich willkommen gefühlt.“ Andrea Johansen hat am meisten gefreut, dass sogar im Livestream „das echte Interesse der Pädagoginnen an den Schülern zu erkennen war“. Das Ziel, „Konkretes und nicht Abstraktes“ in den Mittelpunkt des Lernens zu stellen, überzeuge sie völlig. Letztlich genoss auch Lehrerin Judith Holzbauer den ersten Video-Auftritt ihrer Schulkarriere: „Das war cool und spannend.“
Wer mehr über Montessori-Pädagogik wissen will, hat am 14. Januar die nächste Gelegenheit, sich ausführlich zu informieren. Dann findet eine weitere Veranstaltung der Herzogenauracher Schule statt – notgedrungen wahrscheinlich erneut in digitaler Form. Dass das kein Schaden sein muss, hat sich gerade gezeigt.
Text und Bild: Kurt Heidingsfelder